Erkenne deine edle Herkunft, o Mensch, und deine Würde, wie kostbar du bist, der du Bruder Christi, Freund des Königs, Braut des himmlischen Bräutigams geworden bist. Denn derjenige, der die Würde seiner Seele zu erkennen vermag, vermag auch die Macht und die Mysterien der Gottheit zu erkennen und wird sich von da an umso mehr demütigen, denn mit der Kraft Gottes sieht er seinen eigenen Sturz.
So wie der Herr durch Leiden und Kreuz ging und dadurch verherrlicht wurde und Sich zu Rechten des Vaters setzte, so auch mußt du zusammen mit Ihm leiden und gekreuzigt werden, damit du aufsteigen und mit Ihm dich niedersetzen kannst, damit du eins wirst mit dem Leib Christi und immerdar mit Ihm zusammen herrschst in jenem Äon, denn "da wir mit Ihm leiden, werden wir auch mit Ihm verherrlicht werden" (Röm 8,17) 2.
Jene, die die Mauerzinnen der Bosheit zu überwinden und zu übersteigen vermögen, gelangen in die himmlische Stadt, die friedvolle und von vielen Gütern erfüllte, wo die Geister der Gerechten ruhen. Dazu aber bedarf es großer Anstrengung und vieler Kämpfe, denn es ist nicht recht, dass die Braut, um deretwegen der göttliche Bräutigam kam und litt und gekreuzigt wurde, träge bleibt und im Nichtigen umherschweift. So wie in der sichtbaren Welt eine Dirne sich zügellos einem jeden hingibt, so auch hat sich die Seele jedem Dämon hingegeben und ist verdorben worden von den unreinen Geistern. Einige Menschen haben die Sünde und das Böse in sich auf Grund freier Wahl, andere aber entgegen ihrer freien Wahl. Was heißt das?
Diejenigen, die das Böse aus freier Wahl in sich haben, sind jene, die sich willig der Bosheit hingeben und daran Lust und Gefallen finden. Solche Menschen sind in Frieden mit dem Satan und führen keinen Krieg gegen den Teufel in ihren Gedanken.
Jene hingegen, die die Sünde entgegen ihrer freien Wahl in sich haben, haben sie so, wie der Apostel sagt: "widerstreitend in ihren Gliedern" (s. Röm 7,23). Die vernebelnde Kraft und Hülle des Bösen ist in ihnen entgegen ihrem Willen, und sie stimmen ihm nicht zu in ihren Gedanken. Noch auch finden sie Gefallen daran, und sie gehorchen ihm nicht, sondern widersprechen, widerstehen und widerstreben ihm und zürnen sich selbst. Solche Menschen sind weit besser und kostbarer vor Gott als jene, die sich aus freier Wahl und willentlich der Bosheit hingeben und Lust finden daran. 3.
Nehmen wir an, ein König findet eine arme, in Lumpen gekleidete Tochter, und ohne sich zu scheuen, zieht er ihr die schmutzigen Lumpen aus, wäscht die Schwärze von ihr und schmückt sie mit prächtigen Kleidern. Dann macht er sie zur Teilhaberin an seinem Königtum und an seinem Tisch und gibt ihr von seinen eigenen Speisen. In derselben Weise hat der Herr die Seele gefunden, verwundet und be-deckt von Geschwüren.
Er hat ihr Arzneien gegeben und ihr die schmutzigen Kleider, die Schande der Bosheit ausgezogen und sie bekleidet mit den königlichen und himmlischen Gewändern der Gottheit, Gewändern des Lichts und der Herrlichkeit. Er hat ihr eine Krone aufgesetzt und sie zur Teilhaberin an einem königlichen Tisch gemacht, zu ihrer Freude und Beglückung. Wie in einem wunderbaren Garten, wo Fruchtbäume jeder Art wachsen und alles erfüllt ist von Wohlgeruch, wo es viele herrliche und schöne Orte gibt, duftend und erholsam, wo jeder, der dorthin kommt, Freude und Erquickung findet, so sind die Seelen im Reich Gottes.
Alle sind erfüllt von Freude, Frohmut und Frieden, sind Könige, Herren und Götter. Denn wie geschrie-ben steht: "König der Könige ist Er und Herr der Herren" (Offb 17,14). 4. Das Christentum ist mithin nicht irgendein Ding, sondern "groß ist dies Mysterium" (Eph 5,3). Erkenne mithin deine edle Herkunft, denn du wurdest gerufen zu königlicher Würde, zu "einem auserwählten Geschlecht, einer heiligen Priesterschaft und Nation" (s. 1 Petr 2,9). Das Mysterium des Christentums ist dieser Welt fremd. Der sichtbare Prunk des Königs und sein Reichtum sind irdisch, verweslich und vergänglich, doch jenes Reich und sein Reichtum sind göttliche Dinge, himmlische und herrliche Dinge, die niemals vergehen oder hinfällig werden können.
Denn die wahren Christen herrschen mit dem himmlischen König in der himmlischen Kirche. Und so wie Er "der Erstgeborene aus den Toten" (Kol 1,18) ist, so sind auch sie Erstgeborene. Doch obwohl sie auserwählt sind und bewährt vor Gott, betrachten sie sich selbst als die letzten und gänzlich unwürdig. Und es ist für sie etwas Natürliches und Unverrückbares, sich selbst für nichts zu halten.
Aus: Hl. Makarios der Ägypter, 50 Homilien über das Leben im Heiligen Geist, dt. vom Kloster Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2008.
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